Es war ein klarer, kalter Novembertag. In der Nacht hatte es gefroren und die Temperaturen lagen ziemlich weit im Minusbereich, ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Wir hatten uns Besuch eingeladen, Freunde wollten zum Essen kommen. Wie immer kamen sie zu spät und ich war gerade damit beschäftigt, das Essen noch genießbar zu halten.
Endlich klingelte es an der Haustür. Ich öffnete und meine Freunde standen dort, im Arm ein Kätzchen von ca. 5 Monaten. Ich war damals stolzer Besitzer von zwei Katzen, meinem Siamkater Manni und seiner Freundin Farina, eine Siam-Burma-Mischung. Ich wollte zwar immer noch eine Katze mir dazu holen, aber natürlich eine Rassekatze!!
„Du kannst doch die arme Kleine nicht draußen erfrieren lassen! Wir haben sie draußen gefunden.“
Nein, natürlich konnte ich die arme Kleine nicht draußen erfrieren lassen. Wir nahmen also das zitternde Wesen mit ins Wohnzimmer. Ich gab ihr etwas zu essen und sie kuschelte sich anschließend – zwar ein bisschen ängstlich- aber doch ganz zufrieden im Sofa zusammen. Meine beiden hauseigenen Strategen ignorierten sie einfach.
Es wurde ein gelungener Abend.
Die Kleine, eine schwarz-weiß gezeichnete, blieb im Wohnzimmer auf dem Sofa. Am nächsten Morgen war Fütterchen angesagt. Die kleine Madam stürmte mit nach unten zum Futterplatz und haute sich ihr Bäuchlein richtig voll. Als ich sie anschließend auf den Arm nehmen wollte, fauchte sie, kratzte und biss, so dass ich etwas von „Undank“ murmelte und ihr die Haustür öffnete. Sie schoss hinaus und das Kapitel war damit für mich erledigt.
Am gleichen Abend hörte ich vor der Haustür ein klägliches Miauen. Ich öffnete die Tür und die Kleine schoss hinein und nach unten, wo die Futternäpfe standen. Nachdem sie sich ausgiebig gestärkt hatte, rollte sie sich auf dem Sofa zusammen und entschlief. Am nächsten Morgen das gleiche Spiel: Essen und dann raus. Ein, zwei Tage sah ich sie dann nur von weitem. Gut. Am dritten Abend stand sie wieder vor der Tür. Natürlich ließ ich sie hinein, obgleich ich über ihre Kratzbürstigkeit nicht begeistert war. Aber ein Restchen Vernunft war mir dann auch geblieben und ich entschloss mich sie impfen und nicht mehr nach draußen zu lassen. Was sollte ich zuerst impfen? Ich entschloss mich, zunächst gegen Tollwut zu impfen. So weit, so gut. Drei Tage später bekam sie Katzenschnupfen, aber vom feinsten. Wochenlang habe ich alles Mögliche angestellt, um mein Herzchen wieder gesund zu bekommen. Inzwischen hatte sie den Namen „Schnute“ erhalten nach einer Zeichentrickfigur aus dem Vorabendfernsehen. Da gab es drei Kinder mit den Namen „Ute, Schnute, Kasimir“.
Da mein Vorname „Ute“ ist, erhielt sie den Namen „Schnute“. Ein Kasimir sollte dann noch irgendwann dazukommen.
Monate später ging ich mit ihr an der Leine draußen spazieren, als meine Nachbarn nach Hause kamen. „Oh, da ist ja unsere Mietzi!“ sagte die Nachbarin. Mein Schrecken war groß. „Wollen sie sie wieder zurückhaben?“ fragte ich vorsichtig. „Nein, wenn sie sie behalten wollen, dann ist das in Ordnung. Gott sei dank!
Jetzt konnte ich mir auch einiges zusammenreimen. Die Nachbarn besaßen eine Tankstelle und hatten eines schönen Tages zwei verängstigte Kätzchen unter einem Auto gefunden und mit nach Hause genommen. Das hatten sie mir irgendwann auch einmal erzählt. Eines der beiden Kleinen ist später überfahren worden. Es war das Kätzchen, was ich auch häufiger bei den Nachbarn gesehen hatte. Das andere Kätzchen dagegen hatte ich nur einmal von weitem beobachtet. Im Sommer hatte ich bemerkt, wie die Kinder der Nachbarsfamilie, zwei und vier Jahre alt, mit einem Kätzchen spielten. Die Katze wurde hochgerissen, wenn die Kinder sie streicheln wollten, hing wie ein nasser Sack im Arm der Kinder und wollte nur eines: weg!! Ich versuchte den Kindern zu erklären, dass man so nicht mit Tieren umgehen kann, aber sie waren noch zu klein und meine Erziehungsversuche nutzten wenig. Die Katze durfte auch nicht ins Haus, weil sie irgendwann in eine Ecke gemacht hatte, denn ein Katzenklo gab es im Hause nicht. Als die Nachbarn im November auf einen Lehrgang fuhren, musste das Katzenkind zusehen, wie es zurechtkam.
Da war sie dann auf dem Arm meiner Freunde bei mir aufgetaucht. Jetzt verstand ich auch ihre Kratzbürstigkeit, wenn ich versuchte, sie sie zu streicheln. Ich habe nie wieder eine Katze gleichzeitig schnurren und knurren gehört. Ich übte täglich mit ihr, immer nur ganz kurz. Ich nahm sie auf den Arm und streichelte sie, ging mit Ihr im Zimmer umher, redete beruhigend auf sie ein. Aber es dauerte fast zwei Jahre, bis sie nur noch schnurrte und nicht mehr knurrte.
Dabei hätte sie ihr zweites Lebensjahr fast nicht erreicht. Im Sommer des drauffolgenden Jahres ließ ich sie kastrieren. Es war ein sehr schwüler Tag, wobei ich mir damals nichts gedacht habe. Nach der Kastration holte ich Schnute vom Tierarzt ab und fuhr mit ihr nach Hause. Als die Narkose schon längst verflogen war, kroch sie noch immer völlig desolat im Wohnzimmer umher. Ich überwachte jeden ihrer Schritte, versuchte frische Luft ins Haus zu lassen, aber die Luft stand. Ich setzte sie in einen Sessel und plötzlich schrie sie und kollabierte. Ich rieb ihr Bäuchlein mit kalten Tüchern ab und verbrachte die Nacht mit ihr. Morgens kollabierte sie wieder. Ich packte sie ein und fuhr mit ihr zum Tierarzt. Sie bekam ein Kreislaufmittel, aber es ging ihr danach kaum besser. Es dauerte einige Tage, bis sie halbwegs wieder normal wurde. Sie konnte Narkosen sehr schlecht vertragen, die Erfahrung musste ich später noch einmal machen und dann die schwüle Luft dazu, das war zuviel für sie gewesen. Dafür hatte sie aber die Ehre, dass ein echter Gynäkologe – mein Nachbar auf der anderen Seite – ihr die Fäden zog.
Dennoch ist sie leider nicht sehr alt geworden. Aber das ist eine andere Geschichte.